Vincenzo Capirola wurde 1474 als Sohn einer noblen und reichen Familie in Brescia geboren. Sein Vater starb, als er noch ein kleines Kind war. Die Mutter wurde zum gesetzlichen Vormund, doch auch sie starb, bevor Vincenzo die Volljährigkeit erreichte. Als neuer Vormund wurde Maestro Stefano Caravazzo de Soncino bestimmt, der vielleicht ein Onkel mütterlicherseits war. Aufgrund des familiären Reichtums hatte Capirola niemals mit finanziellen Problemen zu kämpfen.
Wir wissen nichts über Vincenzos Ausbildung, aber wenn wir seinen gesellschaftlichen Status und die Perfektion seiner Kompositionen heranziehen, so muß sie erstklassig gewesen sein.
Unsere Informationen über Capirolas Leben sind spärlich und lückenhaft. Wir wissen nur, daß er sich 1489, 1498 und wieder in 1548 in Brescia aufhielt und 1517 in Venedig. Dem Musikwissenschaftler Otto Gombosi zufolge ist er vielleicht durch Europa gereist, da ein unbekannter Lautenist aus Brescia 1515 den Hof Henry VIII. besuchte. So weit wir wissen starb Capirola in hohen Alter nach 1548.
In den Jahren 1515 bis 1520 schrieb in Venedig Vitale, ein Schüler Capirolas, ein hervorragendes Manuskript mit seiner Lautenmusik, das sogenannte „Capirola Lautenbuch“, das sich nun in der Newberry Library of Chicago (USA) befindet. Das Buch ist reichhaltig mit wunderschönen Gemälden verziert, was nahelegt, daß Vitale professioneller Künstler war.
Das Manuskript enthält auch viele Anleitungen zur Lautentechnik, Verzierungslehre, Besaitung etc. Es handelt sich um die aufschlußreichsten Details über das Lautenspiel im Italien der Renaissance.
Das Capirola Lautenbuch enthält eine große Vielzahl an Stücken. Es enthält 43 Ricecari, Tänze und Intavolierungen vokaler Kompositionen.
Besonders die Ricecari scheinen kompositionstechnisch eine Verbindung der frühen Renaissance (Dalza, Bossiniensis, Spinacino) zu einer späteren Generation (Da Milano, Borrono etc.) darzustellen. Tatsächlich sind Capirolas Ricercari frei vom ruppigen Stil früherer Komponisten aber sie lassen sich noch nicht mit den imitativen Ricercari eines Da Milano identifizieren.
Capirola zeigt auf der einen Seite, daß er den polyphonen Stil der Komponisten um Josquin sehr gut kannte er aber auf der anderen Seite auch die fast improvisatorischen Stilmittel der frühen Renaissancemeister benutzte. Die Intabulierungen der enthaltenen Vokalkompositionen sind verzierte Versionen der originalen Frottolen, Motteten, Teile von Messen, Chansons etc. Bei dieser Gattung gibt Capirola nicht nur die süße, melancholische Stimmung der Originale wider, sondern er erfreut uns durch die Virtuosität, die diese Stücke dem Spieler abverlangen.